Wir sind jetzt vor dem Literaturhaus Frankfurt angekommen.
Im Januar 2017 wehte ein großes Banner vor dem Gebäude, der zum „Weltwandeln in französischer Sprache“ einlud. Bei den „Literaturtage“, die jedes Jahr vom Verein „Litprom“ organisiert werden, habe ich Shumona Sinha kennengelernt.
Im Weltwandeln ist Shumona Sinha Weltmeisterin: Sie sagt gerne, sie sei Inderin qua Geburt und eine französische Schriftstellerin mit russischer Seele. Nachdem sie hier im Literaturhaus zu Gast war, hat Shumona Sinha angefangen, einen Text über das Erbe der russischen Literatur in Bengalen zu schreiben.
Darauf wäre ich nicht gekommen: In dem kommunistischen Westbengalen ihrer Kindheit waren russische Kinderbücher sehr verbreitet. Shumona Sinha hat sich vom wahren tragischen Schicksal des russischen Kinderbuch-Verlegers Raduga inspirieren lassen.
Ihr „Testament russe“ wurde von Lena Müller übersetzt und ist vor kurzem bei Edition Nautilus erschienen.
Wir gehen runter und spazieren am Main entlang in Richtung Stadtzentrum, während wir zwei Stellen aus dem Roman „Das russische Testament“ hören, die Shumona Sinha extra für unseren „Buchmesse-Balado“ ausgesucht hat.
Erst wenn wir rechts die Möglichkeit haben, zum Dom abzubiegen, werden wir das Mainufer verlassen.
Passage aus „Das russische Testament“, von Ingrid El-Sigai vorgelesen.
Prolog ab “Der Brief erwatete mich auf dem Nachtisch.” bis “Noch weiß ich nicht, ob es ein gewöhnliches Wildschwein ist, das sich, angelockt vom Gestank, durch den Schmutz wühlen wird, oder ein Wolf, unbeweglich inmitten meiner Nacht.”
Das war das Ende des Prologs zum Roman, und jetzt eine kleine Stelle, die weiter im Buch steht:
Ab “Sie wusste noch nicht, dass sie ihr Herz an einen Mann verlieren würde, der schon über fünfundfünfsechsig Jahre tot war und den Maxim Gorki ebenfalls gerettet hatte.” bis “Sich ein neues Gesicht erfinden, wenn das, das man hat, nicht das eigene ist, sich eine neue Landschaft gewähren, wenn das alte Land zu eng wird.”
Aus « Das russische Testament » von Shumona Sinha, aus dem Französischen von Lena Müller, Edition Nautilus 2021, Original: “Le testament russe”, Gallimard 2020.© mit freundlicher Genehmigung der Edition Nautilus
Wir biegen jetzt rechts in die Straße „Zum Pfarrturm“ und laufen zum Frankfurter Dom.