Die Laubenganghäuser des Bauhauses sind ein Musterbeispiel für den fortschrittlichen sozialen Wohnungsbau der späten Weimarer Republik. Um eine ganz andere Antwort auf die Wohnungsfrage soll es nun gehen.
Wenn du vor dem Grundstück rechts neben dem Laubenganghaus Mittelbreite 14 stehst, dann bist du richtig.
Wir wollen Dir jetzt von ein paar Bauten erzählen, die es nicht mehr gibt – und über die heute auch nicht gern geredet wird. Zwischen 1933 und 1935 ließ der nationalsozialistische Dessauer Magistrat hier, auf den weiteren Nachbargrundstücken und gegenüber auf der anderen Seite der Mittelbreite insgesamt acht große Baracken bauen.
Die rein funktional gestalteten Flachbauten dienten als Behelfsunterkünfte für Familien, die angesichts der »Krise« nicht in der Lage waren, überhaupt Miete zu zahlen und deren ursprüngliche Unterkünfte zwangsgeräumt wurden. Jede Familie bekam einen Raum. Die Ausstattung war minimal: Es gab Zapfstellen für Wasser und einfache Klosettanlagen, jedoch keine Einrichtungen für Müllentsorgung oder Aschebeseitigung. In die Behelfsunterkünfte wurden Familien eingewiesen, die vom NS-Regime gemeinhin als »asozial« stigmatisiert wurden.
Die Anlage insgesamt hatte eher den Charakter eines Lagers als einer Nachbarschaft. Die Belegung erfolgte mittels »Zuweisung«. Die Verwaltung oblag der Polizei. Zeitweise war sogar im Gespräch dem Hausmeister der Baracken den Status eines »Hilfspolizisten« zu geben.
Schließlich wurde am Rande des Grundstücks noch eine neunte Baracke errichtet. Sie war ab 1936 ein Stützpunkt der Hitler-Jugend. Was Anwesenheit und räumliche Nähe dieses politischen Jugendverbandes für die Bewohner:innen der Baracken bedeutete, ist bisher nicht erforscht.
Doch die Gesamtsituation, also das Vorhandensein von durch die Polizei verwalteten Obdachlosen-Baracken, führte zu sozialen Konflikte im Viertel und es kam zu einer Abwertung der Wohnlage rund um die Laubenganghäuser.
Vermutlich war die Lage der Baracken direkt zwischen und gegenüber den Laubenganghäusern nicht zufällig, sondern bewusst gewählt worden. Denn die Laubenganghäuser waren ein Erbe des verhassten Bauhauses. Und die Nazis, die ab 1932 in Anhalt an der Macht waren, wollten das Bauhaus, seine Werte und eben auch seine Hinterlassenschaften nachhaltig diskreditieren.
Inzwischen sind die Baracken alle verschwunden – und auf den meisten Grundstücken stehen Einfamilienhäuser. Auf dem Grundstück, vor dem Du dich vielleicht noch immer befindest, stand übrigens 2019 bis 2021 eine Rekonstruktion eines Einfamilienhauses von Ludwig Hilberseimer, wie es vom Bauhaus damals massenhaft hätte in der Siedlung gebaut werden können. Die Rekonstruktion war ein Projekt der Universität Kassel. Das Haus wurde hier anderthalb Jahre gezeigt – und steht heute auf dem Lutherplatz in Kassel, wo es als Forschungsstation genutzt wird.
Die nächste Station findet sich ein Stück die Straße runter, am Laubenganghaus Mittelbreite 6.