Jetzt stehst du also vor einem der fünf realisierten Laubenganghäuser. Alle fünf Häuser haben drei Geschosse, sind je circa 60 Meter lang, 8 Meter breit und 10 Meter hoch. Sie haben leicht geneigte Pultdächer. Und sie sind alle Nord-Süd-ausgerichtet, um optimale Lichtverhältnisse für die Wohnungen zu schaffen.
Während ich erzähle, kannst du dich gerne bewegen und Dir das Gebäude anschauen.
Interessant ist zum Beispiel der vorgelagerte Treppenturm, über den die vertikale Erschließung des Gebäudes erfolgt. Er ist zur Straße hin vollverglast. Die Verglasung wurden bei allen Bauten im Zweiten Weltkrieg zerstört – und bisher nur an zwei Gebäuden wieder hergestellt. Bei den restlichen Gebäuden sind die Treppenhäuser zugemauert und mit Fenstern versehen.
Ein wichtiges Gestaltungselement sind die #Laubengänge, die die Straßenfassade des Gebäudes dominieren. Sie erschließen die einzelnen Stockwerke. An jedem Gang liegen sechs Wohnungen, mit je 47 Quadratmeter – und damals meist drei Zimmern. Die gut ausgestatteten sogenannten »Volkswohnungen« wurden von vierköpfigen Arbeiterfamilien bewohnt.
Die Erschließung von sechs Wohnungen pro Etage über ein Treppenhaus sparte Kosten; Die Verwendung von Ziegeln aus der nur einen Kilometer entfernten Städtischen Ziegelei (statt Betonfertigteilen) und die unverputzte Fassade sparte Kosten.; Der Einsatz von ortsansässigen Bauleuten (statt Maschinen), die Beteiligung der Dessauer Bauhütte und der Einsatz von Bauhausstudierenden als Bauführer – alles sollte die Kosten reduzieren.
Hannes Meyer hatte dem Bauhaus ein neues Motto gegeben. Es lautete: »Volksbedarf statt Luxusbedarf«. Und wenn das in der Realität Bestand haben sollte, dann mussten die Häuser billig sein – ohne gleichzeitig auf eine gute Ausstattung zu verzichten.
Bei aller Sparsamkeit, auf moderne technische Infrastruktur, die das Leben der Menschen erleichtern sollte, wurde nicht gespart. Und das sollte auch schon für Passant:innen sichtbar sein. Außen am Laubengang, am westlichen Ende des Gebäudes, gab es zum Beispiel früher einen Müllschlucker: Ein langes Fallrohr, das heute nicht mehr vorhanden ist, führte von den Gängen direkt in eine Mülltonne. Praktisch, oder? Für uns vielleicht nichts Besonderes, damals aber eine moderne Innovation.
Doch die Laubengänge waren nicht nur als kostengünstige Erschließung der Wohnungen gedacht, sondern stellten eine Erweiterung der »Volkswohnung« dar. Sie sollten den Bewohner:innen als gemeinsamer Raum, als Ort der Begegnung und des Austauschs dienen. Die Laubengänge sollten gemeinschaftsbildend wirken. Den hohen Anspruch an Architektur formulierte Meyer 1928 in seinem programmatischen Artikel »bauen« in der Zeitschrift bauhaus wie folgt: »die neue siedlung [ist] vollends […] ein endziel der volkswohlfahrt«. In der »neuen Siedlung« sollten, so Meyer weiter »die spannungen des individuums, der geschlechter, der nachbarschaft und der gemeinschaft und die geopsychischen beziehungen überlegen gestaltet« sein.
Die Laubengänge und auch die anderen Gemeinschaftseinrichtungen der Häuser, die »neue Siedlung« insgesamt, sollte also zur Bildung eines neuen kollektiven Geistes, einer neuen demokratischen Gesellschaft beigetragen. Das Bauhaus ging davon aus, dass der Laubengang (der im gemeinschaftlichen Wohnungsbau bis in die Gegenwart immer wieder auftaucht) die soziale Einstellung der Nutzenden positiv beeinflussen könne.
In Dessau gab es damals aber auch viel Kritik. Von den Gegner:innen wurden die Laubenganghäuser als »Todsünde gegen den Wohnungsbau« und die Laubengänge als »trostlose Schläuche« bezeichnet. Was meinst du, kannst Du die Debatte nachvollziehen? »Guter Treffpunkt« – oder »trostloser Schlauch«?
In jedem Falle ermöglichen die Laubengänge einen weiten Blick über die Siedlung. Und in ihrer langen Nutzungsgeschichte hat sich gezeigt, dass sie als Orte der Begegnung und des Aufenthalts angenommen wurden – und den Bewohner:innen in den warmen Monaten als Balkon dienen. Mit Mobiliar und Pflanzen eignen sich die Mieter:innen die Gänge an – und prägen so das Gesamtbild der Laubenganghäuser mit.
Unsere nächste Station ist am Laubenganghaus in der Peterholzstraß #48.